Kolumne Episode 22. Sechs Culture-Hacks gegen die größten Fehler bei Unternehmenstransformationen
Immer wieder müssen etablierte Unternehmen sich neu erfinden. Digitalisierung, Industrie 4.0, Gen-AI, Markttrends wie Elektromobilität oder Nachhaltigkeit, Anforderungen der “Gen Z”-Mitarbeiter und vieles mehr erfordern immer wieder, auch die Unternehmenskultur auf den Prüfstand zu stellen und zu adaptieren. Es geht darum, innovativ zu bleiben, agiler oder produktiver zu werden, wertezentrierter zu agieren, menschenfreundlicher zu arbeiten. Da liegt es nahe, ein Transformationsprogramm zu definieren, um neben Änderungen an Organisation, Fähigkeiten und Produkten auch die Unternehmenskultur weiterzuentwickeln.
Allerdings sehen wir immer wieder, dass diese Programme in der Kultur hinter den Erwartungen zurückbleiben. “Ein Programm, das woanders wunderbar gewirkt hat, hat bei dem nächsten Unternehmen gar nicht funktioniert”, bestätigt auch Marcus Schaper diese Beobachtung. “Wir dürfen nicht vergessen: Kultur zeigt sich als ein Meta-Layer, der für ein Unternehmen die Qualität des Vertrauens untereinander und die dazugehörigen Verhaltensweisen und Kommunikation beschreibt. Diese sind oft tief verankert und strotzen nur so von Eigenheiten. Genauso lange, wie sie sich aufgebaut hat, werden sie benötigen, um sich in etwas Neues zu verwandeln”, weiß auch Maria Meiler zu berichten.
Warum ist es oft so schwer, die Erwartungen richtig zu setzen und die Umsetzung passend anzugehen? Hier sind die sechs größten Fehler, die Unternehmen bei solchen Transformationsprogrammen machen, und mit welchen Culture Hacks sie vermieden werden können.
Fehler #1: “Sandbauweise” – Zielkultur definieren ohne Verständnis der Ist-Kultur
Hack #1: Starte mit einem Culture-Scan
Jede Transformation beginnt sinnvollerweise mit der Definition einer Unternehmensstrategie. Daraus werden dann meist Erfordernisse an alle möglichen Dimensionen abgeleitet, wie Prozesse, Produkte, Strukturen etc. Und am Ende (auch schon ein Fehler!) kommt man darauf, dass ja auch das Personal weiterentwickelt werden muss, weil man noch viel agiler oder innovativer sein möchte. Also wird noch ein Kulturziel drangehängt und HR umgehängt. Monate später stellt man fest, dass in einem Unternehmen mit deutschen Tugenden zwar vieles funktioniert, aber nicht schnell.
Man pflanzt ja auch keinen Kaktus in einen Sumpf, oder eine Palme in die Tundra. Die Unternehmenskultur ist wie ein Nährboden für Werte, Verhalten und letztendlich Unternehmenserfolg. Und einen Nährboden kann man zwar verändern, aber nur ausgehend vom Ist-Zustand und auch nur über Zeit. Daher ist es wichtig, in einem Culture-Scan einige wichtige Einordnungen zur Ist-Kultur zu klären in drei Dimensionen:
- Formale Strukturen zu Zielen, Entscheidungsregeln, Prinzipien der Arbeitsteilung, Feedback und Bewertungssysteme
- Semi-formale Prozesse zu Arbeitsabläufen, Entscheidungsfindung, Konfliktbewältigung, Mitarbeiterentwicklung
- Informelle Grundlagen wie Werte, Haltungen, Überzeugungen, Verhaltensmuster
Aufgrund des Scans kann man erkennen, welche Dimensionen bereits gut ausgeprägt sind und sie für die weitere Transformation nutzen im Sinne des “Stärken stärkens”. Daneben sieht man aber auch, welche Dimensionen noch verbessert werden müssen. Tipp aus der Praxis: maximal 3 Bereiche für Kulturveränderungen pro Team sind schon viel.
Fehler #2: “Top-Downismus” – Transformation zu stark von oben herab steuern
Hack #2: Nutze die Energien & Flows Deines Unternehmens
Ein Unternehmen ist wie ein Orchester. Du kannst mit unterschiedlichen Griffen eine harmonische oder auch disharmonische Schwingung produzieren. Da ein Ton noch kein Musikstück ausmacht, gilt es, ein gelungenes Versatzteil an verschiedenen Stellen anzusetzen, zu variieren und zwischendurch auch Fehlgriffe abzulegen. Kann man ein Orchester rein “Top-Down” steuern? Gibt es immer genau den einen richtigen Griff, der durch die Partitur vorgegeben wird? Nein. Denn jede Geige hat ihre eigene Steifigkeit, jedes Klavier die individuelle Saiten-Struktur. Und jede Organisation ihre eigenen, zu beprobenden Klangmuster. Transformations-Impulse können nicht allein durch ein Top-Management beschrieben werden. Ein Stück entsteht erst dann, wenn die Musiker selbst Hand anlegen und eigene Akzente setzen. Das heißt nicht, dass keine Partitur oder ein Dirigent von Nöten ist. Ein guter Dirigent zeichnet sich dadurch aus, dass er mit den Musikern gemeinsam das Stück erarbeitet.
Genauso baut eine erfolgreiche Transformation auf einem stabilen, nachhaltigen Grundgerüst auf, das durch ein Top-Management weitblickend gestaltet und den Mitarbeitern als Guideline an die Hand gegeben wird. Das Zusammenspiel von Top-Down & Bottom-Up ist gefragt.
Gerade zu Anfang ist eine starke Kommunikation notwendig, die Top-Down einen Rahmen vorgibt. Strategie, Vision, Firmenidentität und einiges mehr setzen hier die richtigen Akzente, welche der erweiterten Führung und den Mitarbeitern ein “Warum” und Verhaltens-Guideline vermitteln. Das kann nicht oft genug und aus unterschiedlichen Perspektiven kommuniziert werden. Kommunikation schafft hier Vertrauen, das dringend gebraucht wird, sobald sich die Grundfesten ändern. Und darauf aufbauend kann dann eine Workshop-Serie auf Teamebene den Freiraum geben, den Teams benötigen, um den strategischen Rahmen mit Leben zu füllen. Hier muss man als Top-Management auch den Teams ein bisschen Vertrauen schenken, dass sie das Beste aus der Einsteuerung herausholen.
Fehler #3: “Omphalophilie” – Nur marginale Verbesserungen im Klein-Klein
Hack #3: Foraging – Großes von anderen abgucken mit Stolz
Wer sich in den eigenen Bauchnabel verliebt hat, ist omphalophil, und betrachtet die eigene Welt als Zentrum des Universums. So wie viele erfolgreiche, traditionsbewusste Unternehmen, denen es schwerfällt, sowohl große Veränderungen anzustreben, als auch den Blick nach außen zu richten, um von Unternehmen aus anderen Industrien zu lernen. Entsprechend verliert man sich in kleinen, inkrementellen Verbesserungen. Das muss nicht schlecht sein, immerhin vermeidet man Fehler #1. Allerdings darf man dann auch keine sprunghaften Innovations- oder Produktivitätsfortschritte erwarten.
Der Hack dazu ist das sogenannte Foraging (zu Deutsch hamstern), das schnell organisiert ist:
Es werden Gruppen aus leitenden und nicht-leitenden Mitarbeitenden verschiedener Funktionen gebildet
Diese suchen sich aus bekannten Firmen oder Institutionen eine aus, dessen Kultur sie näher kennenlernen möchten – meistens kennt ein:e Mitarbeiter:in bereits Leute dort und kann einen Kontakt herstellen
Beim Austausch geht es darum, die Dimensionen des Culture-Scans (siehe unter #1) einander vorzustellen. Idealerweise trifft man sich persönlich und vor Ort, und stattet auch einen Gegenbesuch ab. Zunächst wird nur beschrieben, wie die Ist-Kultur ist (natürlich im Rahmen des Wahrens von Geschäftsgeheimnissen). Erst im Anschluss reflektieren die Gäste über das, was sie gesehen und dabei empfunden haben
Nach dem Besuch gibt es noch eine Retrospektive, um die Erkenntnisse zu sortieren und die Anwendbarkeit auf das eigene Unternehmen einzuordnen. Dabei ist es besonders förderlich, jede Senioritätsstufe und jede Funktion zu Wort kommen zu lassen, da die Effekte auch überall anders sein können
Idealerweise spielt die Gruppe die Erkenntnisse an das zentrale Transformationsboard oder die Leitendengruppe zurück, um die eigene Transformation zu bereichern
Fehler #4: “Atomismus” – Zusammenstückelung von miteinander unpassenden Ideen
Hack #4: Simuliert die Zukunft end-to-end
Jeder von uns findet hier und da tolle Kulturelemente, die sehr attraktiv erscheinen. Leider passen diese nicht immer zusammen, so dass man erschreckt feststellt, dass die tolle Idee im eigenen Unternehmen keine Effekte hat.
Hier hilft es, Ideen in einem Workshop einmal end-to-end zu simulieren, Schrittchen für Schrittchen, Rolle für Rolle. Stellt Euch vor, Ihr wärt ein Kundenauftrag, der durch das Unternehmen läuft. Wo kommt der überall vorbei, was passiert damit, wie geht es weiter? Wie lange liegt er, wie oft wird er angefasst, wie oft werden Dinge korrigiert? Wenn man diese Fragen einfach mal simulativ ausprobiert, sieht man Ideen aus einer anderen Brille: nämlich der der eigenen Unternehmenskultur. Machen, ausprobieren, korrigieren. Oder wie Seth Godin sagt:
“There’s no shortage of remarkable ideas, what’s missing is the will to execute them.”
Fehler #5: “Halbzeit-Weltmeister” – Nach dem ersten Workshop schon Effekte erwarten
Hack #5: Der Weg ist die Arbeit, und ist lang und schweißtreibend
Ruhe, Geduld und Ausdauer sind aus unserer Sicht drei wichtige Komponenten einer nachhaltig agierenden Führungskraft. “If you really look closely, most overnight successes took a long time”, postuliert Steve Jobs. Das können wir aus Erfahrung nur unterstreichen. Sobald eine Führungskraft anfängt, Druck auf die eigene Mannschaft und so manch externen Begleiter auszuüben mit Sätzen wie “lasst doch dazu mal eine Workshop machen, um da ein anderes Mindset zu bekommen”, wird ein Prozess, der sich eigentlich aus vielen kleinen Schritten zusammensetzt und Zeit und Muße benötigt, oberflächlich ins Unrealistische geschickt. Keiner traut sich zu widersprechen, denn sonst würde fehlende Ambition unterstellt. Veränderung von Mindset benötigt dabei schon bei einer Person essentielle Zeit (fragen Sie sich selbst mal, wie lange Sie gebraucht haben, um einen trivialen Habitus wie beispielsweise eine Essgewohnheit zu verändern). Bei einem System wie einem Team oder gar ganzen Unternehmen kann das nochmal mit einigen Multiplikatoren mehr belegt werden. Es braucht eine längerfristige Kultur-Strategie.
Bei der Frage, was sollte man tun, möchten wir speziell drei führungsrelevante Aspekte hervorheben:
- Transparenz: Wir hören oft, „Es bleibt uns nicht viel Zeit, um das gut hin zu bekommen”. Gerade dann, wenn es dem Unternehmen “an die Nieren” geht. Seien Sie von Anfang an klar, welche Zeit Sie aus Sicht der Top Führung dem Prozess geben können und entscheiden Sie vorab, was darin überhaupt möglich sein wird hinsichtlich einer Mindset- und Verhaltensänderung in der Organisation.
- Still halten: Sich zwingen, nicht auf Ergebnisse zu pushen, sondern das Momentum zu unterstützen, wenn Teams starten, Veränderungen positiv zu begegnen. Das bedeutet für eine Führungskraft, Treiber auf der Prozessebene zu sein und Mitarbeitern den Raum zu geben, sich zu versuchen, neue Wege zu beschreiten und die nötigen Fehler zu begehen.
- Anerkennen und loben: Jede Veränderung bedarf eines Lernprozesses. Lernen heißt auch, es noch nicht richtig gut zu beherrschen, sondern sich zu versuchen. Die Versuche müssen hier gewürdigt werden, auch wenn sie noch nicht erfolgreich im Ergebnis sind, um die Motivation der Mitarbeiter hochzuhalten, weiter zu üben, um die veränderten Verhaltensweisen bald auch mit hervorragenden Outcomes zu belegen. “Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen”…
Fehler #6: “Die nächste Sau durchs Dorf treiben” – zu schnell zu viele Veränderungen drohen zu verpuffen
Hack #6: Das Wiederholen nicht weglassen und das Weglassen nicht vergessen – das Geburts- und Sterberegister der Kultur
Auch wenn die Innovations- und Veränderungszyklen immer kürzer werden, braucht Kulturveränderung Zeit. Es hilft nicht, alle zwei Jahre eine Umorganisation zu starten, alle Prozesse zu verändern, neue Werte zu definieren. Und sich dann zu wundern, dass kein Effekt einsetzt. Top-Management-Teams dürfen nicht unterschätzen, wie resilient inzwischen viele Organisationen gegenüber der sprichwörtlichen Sau geworden sind, die durchs Dorf getrieben wird. Kulturveränderungen brauchen zwei Dinge: Zeit und Wiederholungen. Zeit, weil es eine Weile dauert, bis Mitarbeitende realisiert haben, dass es wirkliche Veränderung gibt. Bis eine Verhaltensänderung auch auf der operativen Ebene wahrgenommen wird, kann ein halbes Jahr ins Land ziehen. Bis das Neue auch nachgeahmt wird, vergehen meist zwischen ein bis drei Jahre. Während dieser Zeit braucht es Wiederholungen, immer wieder neue Impulse, die alle in die gleiche Richtung laufen, damit die Veränderung auch als real wahrgenommen wird. Diese Wiederholungen dürfen sich nicht nur darauf beschränken, das Neue immer wieder zu leben, sondern müssen auch das sichtbare Weglassen des Alten umfassen.
Die Schwierigkeit ist nun: wie bekommen wir dreijährige Kulturzyklen mit ein- bis zweijährigen Innovationszyklen unter einen Hut? Die Antwort: Entkoppelt die Dinge voneinander. Eine agilere Kultur wird auch beim übernächsten Produktzyklus noch hilfreich sein.
Der Hack dazu ist ganz einfach: Erstellt ein Geburts- und Sterberegister der eingeführten und abgeschafften Kulturelemente, und wartet die Zeit ab, bevor in der gleichen Dimension eine weitere größere Veränderung stattfindet. Tragt auch Wiederholungen und Impulse ein, so wird daraus ein regelrechter Kulturkalender.
Es gibt kein Allheilmittel, wie Transformationen wirklich funktionieren, aber vielleicht helfen diese Tipps, die gröbsten Schnitzer zu vermeiden. Die Mitarbeitenden und Kunden werden dankbar sein.