Kolumne Episode 10. Müssen Männer Tampons erfinden?

Warum einige Produkte für Frauen erstaunlich wenig an weiblichen Bedürfnissen orientiert sind und wie wir das ändern können

 

Ok, hier schreibt ein Mann über Periodenprodukte. Da kommt einem das Bild der Blinden, die sich über Farben streiten, in den Sinn. Aber manche Themen sind doch ziemlich eindeutig, zum Beispiel dass einige Produkte für Frauen nicht hinreichend an weibliche Bedürfnisse angepasst sind.

 

Auf ein Beispiel hat Ines Schiller während eines Podcasts zu “Kultur wandle Dich!” hingewiesen. “Tampons wurden von Männern erfunden, wir wollen Tampons von Menstruierenden für Menstruierende machen”, erklärt sie. Und in der Tat wurde der moderne Tampon 1931 von Earle Cleveland Haas in den USA erfunden, weil seine Frau die zu dieser Zeit erhältlichen Bindenprodukte nicht leiden konnte. Der Erfolg des Tampons stellte sich aber zunächst nicht ein, weil sie als medizinische Produkte ausschließlich in Apotheken erhältlich waren und von den meist männlichen Apothekern ungern verkauft wurden. Weibliche Menstruation war in den 1930ern ein Tabuthema – und ist es zum Teil heute noch. Erst mit der Übernahme der Patente durch die patente Ärztin und Unternehmerin Gertrude Tendrich änderte sich daran etwas. Die unter der Marke “Tampax” verkauften Produkte wurden nach einer groß angelegten Werbekampagne mit weiblichen Protagonistinnen zum Erfolg. Auch in Deutschland wurde das Tampon zunächst durch einen Mann patentiert, Carl Hahn im Jahre 1947. Die unter dem Namen O.B. (“ohne Binde”) verkauften Produkte setzten sich schnell durch. Anfangs bestand das Tampon aus Baumwolle, später wurde Viskose genutzt, was beides allerdings unangenehm beim Einführen und Herausnehmen ist. Daher gibt es seit 1996 eine Einführhilfe aus Plastik, die vornehmlich in den USA und UK verkauft wird. 

Ines Schillers Startup “VYLD” setzt auf Meeresalgen, die sowohl besser einführbar sind, weniger austrocknen und gleichzeitig aufnahmefähiger sein können. Zudem sind sie umweltfreundlicher, weil kein Plastik notwendig ist (mehr dazu auf vyldness.de).

 

Weitere Beispiele für dieses Phänomen gefällig? Hier nur einige wenige:

  • Crash Test Dummies bei Sicherheitstest von Autos orientieren sich am 50-Perzentil-Mann, der 1.75m groß und 78kg schwer ist; nur selten sind Tests mit weiblichen Dummys vorgeschrieben, und dann ist es die 5-Perzentil-Frau, 1.52m klein und 50kg leicht. Auch nicht wirklich repräsentativ
  • Klinische Studien in der Medizin werden häufig ausschließlich oder weitgehend mit männlichen Probanden durchgeführt. Man spricht hier vom Gender Data Gap, wodurch die Geschlechter nicht korrekt repräsentiert sind. Und selbst wenn Frauen in die Studien aufgenommen werden (was seit 1994 in den USA verpflichtend ist), wird in Dosierung und Auswertung von Nebenwirkungen nicht immer zwischen den Geschlechtern differenziert
  • Die automatisierten Lernverfahren der Künstliche Intelligenz beruhen auf verfügbaren Trainingsdaten, die den bestehenden Bias replizieren. So soll der Algorithmus zur Bewerberbewertung bei Amazon die vorhandene Bevorzugung männlicher Kandidaten übernommen haben. Ein anderes Beispiel wird bei der Erkennung von Menschen auf Bildern deutlich: Männer, die sich in einer Küche befinden, werden häufiger fälschlicherweise als Frauen erkannt

 

Was geht hier schief? Vielleicht hilft es, sich die möglichen Ursachen in den verschiedenen Produktentwicklungsphasen anzuschauen.

  • Produktdesign: Etwa 78% der Beschäftigten im Produktdesign sind Männer. Das an sich muss noch nicht bedeuten, dass die resultierenden Produkte nicht weibliche Bedürfnisse befriedigen. Wenn wir allerdings die psychologischen Effekte von Projektion (projection bias; umgangssprachlich “von sich auf andere schließen”) sowie Law of the instrument (dabei nimmt man an, ein vertrautes Werkzeug würde optimal funktionieren, selbst wenn es ein objektiv besseres gibt; umgangssprachlich “das haben wir schon immer so gemacht”) können dazu führen, dass Bedürfnisse aus weiblichen Attributen wie Größe, Gewicht, Muskelmasse, Fettanteil usw. vernachlässigt werden
  • Test-/Studiendesign: Mitunter ist es schwieriger, Frauen für bestimmte Arten medizinischer oder körperbetonter Studien zu gewinnen, weil man sie entweder schützen möchte oder gesundheitliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen (keine Schwangerschaft, keine Menstruation o.ä.). Dann wird bereits beim Studiendesign die repräsentative Stichprobe nicht sichergestellt
  • Test-/Studiendurchführung: Auch bei den Ergebnissen von Tests oder Studien ist es wichtig, nach Geschlecht (aber auch anderen für das Produkt relevanten Eigenschaften) zu differenzieren

 

Was können wir tun? Natürlich könnten wir nach gesetzlichen Regelungen rufen, und vielleicht ist das auch notwendig. Aber wir könnten doch einfach mal die Frauen fragen, oder – besser und nachhaltiger – mehr Frauen in verantwortliche Positionen bringen, wo sie die Produktentwicklung direkt beeinflussen können.



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