Kolumne Episode 11. Fünf Gründe, warum Führung eine eigenständige Disziplin sein sollte
Werden wirklich die Richtigen Führungskräfte?
In praktisch allen Situationen, die wir erleben, wird man eine Führungskraft, indem man viele Jahre lang sowohl fachlich als auch als Teamplayer gut gearbeitet hat und dann irgendwann zur Führungskraft befördert wurde. Dies hat üblicherweise mehrere Gründe: Man möchte…
- gute Mitarbeiter für ihre geleistete Arbeit belohnen
- einen Anreiz schaffen, dass sich jüngere Leute ins Zeug legen und gute Leistung bringen, um dann irgendwann mal Führungskraft zu werden
- gute operative Mitarbeiter als Vorbild für ihre Kollegen darstellen
Frei nach dem Motto: Mache den besten Programmierer zum IT-Chef. Wir wissen inzwischen, dass praktisch das Gegenteil der Fall ist. Ein guter Fachexperte ist selten eine gute Führungskraft. “Führungskräfte müssen gute Coaches sein, damit sie in ihren Teams helfen, die Potenziale zu heben”, sagt @Heike Leise im Podcast “Kultur wandle Dich!”.
In diesem Artikel möchte der Autor sogar noch weitergehen und behaupten: Führungskraft sollte eine eigenständige Rolle sein, die unabhängig von Erfahrung, Alter, Geschlecht und anderen eher formalen Kriterien ausübbar sein sollte. Dies schließt insbesondere auch junge Menschen mit ein. Der Autor hat etliche tolle junge Talente kennengelernt, die auch schon Mitte 20 über eine erstaunliche Führungskraft haben, also die Kraft, andere Menschen zu führen. Sie dürfen sie nur nicht einsetzen, weil ihre Jobbeschreibung das nicht beinhaltet. Auch Frauen kommen im aktuellen System häufig zu kurz, weil durch familienbedingte Auszeiten es formal an Erfahrung fehlt. Das sollten wir ändern, im Sinne dieser jungen (und) weiblichen Talente, die ansonsten sehr schnell frustriert sind; aber auch im Sinne der Produktivität der Gesamtunternehmung, weil gute Führungskräfte eben rar sind, und wenn wir es schaffen sie früh einzusetzen, wir dem ganzen Unternehmen etwas Gutes tun.
Es gibt sicherlich einige durchaus berechtigte Einwände oder Risiken, vor allem junge Leute früh in Führungsverantwortung zu bringen. Die möchte ich hier entkräften, und auch ganz im Gegenteil einige gute Gründe dafür nennen.
Erstens. Wir brauchen neue Arten der Führung
In praktisch allen Bereichen ist es so, dass man sich darüber freut, wenn junge Leute aus der Ausbildung oder dem Studium kommen und neue Technologien, Konzepte, Methoden oder auch andere Denkweisen und Sichtweisen mitbringen. Man betrachtet das dort als Bereicherung und als innovative Elemente zur Unternehmensentwicklung. Warum nicht im Bereich Führung? Wir tun ja gerade so, als ob jemand viele Jahre unter einer Führungsstruktur leben muss, bevor wir ihm oder ihr zutrauen, Führung selbst auch auszuüben. Dann ist natürlich die ganze Innovationskraft in puncto Führung infrage gestellt, weil sich ja dann wahrscheinlich genau die Menschen durchsetzen, die ohnehin vieles von dem nachahmen, was die alten Führungskräfte vorgemacht haben. Warum also nicht eine neue innovative Führung wagen, die durch junge Leute ins Unternehmen transportiert werden kann.
Zweitens. Erfahrung sammelt man das ganze Leben
Natürlich kann es helfen, aus einem üppigen Schatz von Erfahrungen mit Führungsverantwortung schöpfen zu können, um schwierige Situationen schneller und passender einzuschätzen und die richtigen Führungsaktivitäten zu entfalten. Aber machen wir uns doch nichts vor: Menschenkenntnis beginnt nicht erst dann zu greifen, wenn man ins Berufsleben eintritt, sondern eigentlich schon, wenn man in den Kindergarten oder die Schule eintritt. Tun wir also nicht so, als ob man erst mal 20 Jahre gearbeitet haben muss, um Führungskraft zu werden. Sondern vertrauen wir darauf, dass auch die ersten Jahrzehnte eines Lebens Menschen durchaus genügend Lebenserfahrung mitgeben können, um Führungskraft zu werden. Das heißt nicht automatisch, dass jeder mit Mitte 20 Führungskraft werden kann. Denn es handelt sich ja um eine eigenständige Disziplin, die auch entsprechendes Talent und den Willen zum Lernen voraussetzt. Und damit kommen wir zum dritten Argument.
Drittens. Führung endlich mal richtig gut machen
Ich habe oben schon erwähnt, dass es nicht unbedingt hilfreich ist, den besten Programmierer zum IT-Chef zu machen. Nicht dass wir uns missverstehen: Ein guter Programmierer kann durchaus ein guter IT-Chef sein. Aber da ein guter Programmierer hauptsächlich Programmierer ist, kann sie oder er nicht einfach nebenbei auch zu einer grandiosen Führungskraft heranreifen. Führung braucht neben Talent auch jede Menge Arbeit und den Willen zum Lernen. So könnte eine Führungskraft, die schon nach der Trainee-Zeit mit Führungsaktivitäten betraut wird, sehr viel intensiver an genau diesen Fähigkeiten arbeiten und sie viel besser ausprägen. Als eigene Disziplin und nicht als Add-On zur normalen Arbeit gedacht, kann Führung eine viel höhere Motivations- und Produktivitätskraft für ein Unternehmen entfalten, als wenn man sie nebenbei nach fünf bis zehn Jahren operativen Dienstes sich selbst aneignen muss.
Viertens. Oberflächlichkeit in der Führung vermeiden
Ein fairer Einwand, der nicht nur bei Führungskräften zutrifft, sondern auch bei anderen Berufsgruppen wie zum Beispiel Politikern, ist der: jemand, der ausschließlich Politiker ist, steckt nicht tief genug in operativen Themen und im Detail, um sich wirklich von dir eine Meinung bilden zu können. Schlichtweg weil die eigene operative Arbeitserfahrung in einem klassischen Beruf fehlt. Natürlich kann man Experten fragen, aber viele Experten haben eben auch ein Partikularinteresse, wie zum Beispiel Lobbyisten. Hier ist es für Politiker:innen gar nicht so einfach, geführte Meinungen von relevanten Fakten unterscheiden zu können.
Wie stellt man also sicher, dass junge Führungskräfte trotzdem verstehen und wissen, was operativ passiert? Und operativ heißt in diesem Zusammenhang nicht nur, welche Prozesse es gibt, welche Tools es gibt, wie das Produkt aussieht. Sondern auch, wie es um die Menschen bestellt ist: wie sieht die Motivation aus, was frustriert sie, was treibt sie an, wofür sie sich nicht verstanden, kurzum: wie kann man ihr Arbeitsleben besser gestalten. Eine Idee, dem vorzubeugen, ist, dass Führungskräfte grundsätzlich nie nur Führungskräfte sind, auch wenn es ihre Kerndisziplin ist. Stattdessen sollten Sie regelmäßig und über längere Zeit hinweg Praktika in den verschiedenen Fachabteilungen ihrer Unternehmen machen. Ich würde sogar so weit gehen, dass auch Arbeit in anderen Unternehmen gang und gäbe sein sollten, damit wir einen aktiven, kulturellen Austausch in unserer Wirtschaft erleben. Hier können wir doch nur voneinander lernen.
Fünftens. Frühentwickler und Spätberufene gleichsam fördern
Bisher ging es viel um junge Talente. Was ist aber mit Führungskräften, die erst im Laufe der Jahre ihre Führungsqualitäten entdecken? Hier plädiere ich für eine offene Karriere- und Rollenstruktur, die den Wechsel von Fach- und Führungskräften jederzeit ermöglicht. Denn es kann im Umkehrschluss ja auch genauso passieren, dass jemand in jungen Jahren vielleicht Talent für Führung gezeigt hat, sich in den späteren Jahren als keine gute Führungskraft herausstellt, und stattdessen die Liebe zu Fachthemen entdeckt. Auch hier sollten wir es ermöglichen, dass Menschen aus der Führungskarriere wieder in eine Fachkarriere wechseln können. Fähigkeiten und Präferenzen ändern sich im Laufe der Zeit.
Eine weitere Zutat ist noch wichtig, damit Führung als eigenständige Disziplin gut funktioniert: Führung muss entglorifiziert werden. Es geht nicht darum, eine Mitarbeiteraudienz nach der anderen abzuhalten, oder ex cathedra beliebig Entscheidung zu treffen. Sondern es geht um harte Arbeit. Es geht vor allem hierum:
- Aktiv zuhören, persönliche Probleme von anderen wertschätzen und sich proaktiv an der Problemlösung beteiligen
- Gut beobachten, konstruktives Feedback geben und sowohl Menschen als auch der Organisation den Spiegel vorhalten
- Inhaltliche und zwischenmenschliche Konflikte aufdecken, moderieren und lösen
- Motivationshemmnisse finden, Frustrationen helfen abzubauen und ein gutes Arbeitsklima herzustellen
- Suboptimale Strukturen und Prozesse im Unternehmen aufdecken, auf die Agenda zu bringen und dazu beitragen, bessere Lösungen durchzusetzen
Das alles macht nicht immer nur Spaß. Aber es sind wichtige Aufgaben, damit Unternehmen gut funktionieren und damit die Mitarbeiter zufrieden sind und sich gut weiterentwickeln können. Führung ist insofern einfach ein Job wie jeder andere.
Wie kann man als Unternehmen starten? Vielleicht ist es am einfachsten, wenn man sich im Traineeprogramm schon mal überlegt, eine neue Disziplin einzuführen: Führung. Und diese jungen Menschen, die Führung verschreiben wollen, auch passende Aufgaben zuzuweisen, zum Beispiel erste Teil-Projektleitung, nachdem ein Scrum-Master oder Ähnliches für die entsprechende methodische Qualifikation gesorgt hat. Möglich wäre auch eine fachliche Assistenzfunktion der Geschäftsführung oder einer anderen Führungskraft als Deputy zur Seite zu stehen.
Unternehmen, denen es gelingt, Führung innovativ zu interpretieren und nicht von der Stehzeit ihrer Mitarbeiter abhängig zu machen, haben eine große Chance, die großen Potenziale für die Unternehmung und ihre Mitarbeiter zu heben. Zeit zu handeln ist jetzt.